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Schätzbescheide nach Betriebsprüfung: Einspruch prüfen

Ergeht ein Schätzbescheid gegen einen Unternehmer, so ist der Bescheid aus seiner Sicht oft derart falsch, dass er ihn ggf. sogar als „willkürlich“ ansieht. Da der Unternehmer selbst betroffen ist und sich im Fokus fühlt, ist diese Sichtweise zunächst auch oft menschlich verständlich. Mandanten sollten dann jedoch wissen, dass ein Unterschied zwischen einer gefühlten Willkür und einer rechtlich anfechtbaren Willkür besteht. Eine Schätzung ist nach der Rechtsprechung u.a. dann in rechtlicher Hinsicht willkürlich, wenn das Schätzungsergebnis trotz vorhandener Möglichkeiten den Sachverhalt aufzuklären und die Schätzungsgrundlagen zu ermitteln, krass von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht und in keiner Weise erkennbar ist, dass überhaupt und gegebenenfalls welche Schätzerwägungen angestellt wurden. Dies bedeutet, dass Willkür nur eine seltene Ausnahme ist. Liegt sie jedoch vor, so ist der Bescheid nicht nur rechtswidrig, sondern sogar nichtig (§ 125 AO). Diese Nichtigkeit kann auch noch nach Ablauf der Einspruchsfrist geltend gemacht werden.

Anfechtung durch Einspruch 

Hinweis der Steueranwälte von LHP: Da die meisten Schätzbescheide nicht willkürlich und schon deshalb nicht per se nichtig (sondern ggf. rechtswidrig) sind, sollten Bescheide im Zweifel vorsorglich fristwahrend angefochten werden, um diese dann auf Rechtswidrigkeitsgründe prüfen zu können. 

Bei der Anfechtung eines Schätzbescheids sollte vorab bedacht werden, ob sich im Einspruchs- und notfalls im Klageverfahren ein besseres Ergebnis erzielen lässt. Selbst wenn die Schätzung des Finanzamts verfahrensfehlerhaft ist, so kann das Finanzgericht diese notfalls „reparieren“. Denn das Gericht nimmt eine eigene Schätzung vor gem. §§ 96 Abs. 1 FGO i. V. mit § 162 AO. Die jeweils angewandte Schätzmethode ist durch das FG vollständig überprüfbar. Die Finanzgerichte sind somit nicht an die Schätzmethode gebunden, die das Finanzamt gewählt hat. Allerdings gilt das Verböserungsverbot, d. h. das Gericht darf den Kläger im Ergebnis nicht betragsmäßig schlechter stellen. Die Schätzung durch ein FG ist im Rahmen einer Revision (BFH) nur im Ausnahmefall angreifbar. Denn die Schätzung des FG gehört wie auch die Auswahl der Schätzungsmethode zu den tatsächlichen Feststellungen des FG, die den BFH grundsätzlich bindet. Dies gilt aber nur dann, wenn sie zulässig ist, verfahrensrechtlich einwandfrei zustande gekommen ist und weder gegen anerkannte Schätzungsgrundlagen noch gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt.

Hinweise der Steueranwälte von LHP:

  1. Der Prüfer muss seine Schätzung der Höhe nach durch die Offenlegung einer nachvollziehbaren Kalkulation substantiieren. Hierfür gibt es mittlerweile eine Reihe von Gerichtsurteilen. Dafür muss der Prüfer die von ihm verwandten Ausgangszahlen als auch den Kalkulationsweg nachvollziehbar offenlegen. 

  2. Ab und zu drohen in Schätzfällen auch Steuerstrafverfahren. Allerdings gelten im Strafverfahren andere Beweisgrundsätze, so dass Schätzungen aus dem steuerlichen Verfahren nicht blind übernommen werden dürfen. Vielmehr müssen die Hinzuschätzungen nach Überzeugung des Strafrichters feststehen und dies muss sich dann aus dem Strafurteil ergeben. So urteilt die höchste Rechtsprechung zum Steuerstrafrecht. Der BGH hat seine bisherige Rechtsprechung zur Schätzung in Strafverfahren mit Urteil v. 10.07.2019 konkretisiert und im Wesentlichen bestätigt. Weiterhin hat er in diesem Urteil die mehrfach vorgetragene Kritik in der Literatur an der BMF-Richtsatzsammlung nicht genauer aufgegriffen (BMF = Bundesfinanzministerium). Im Ergebnis hat der BGH damit die Anwendbarkeit der Richtsatzsammlung auch im Strafverfahren bejaht und damit zementiert. Diese Feststellung wird für die Praxis oft zählen, auch wenn der BGH im Urteil vom 10.7.2019 in einem Nebensatz den Hinweis gab, dass es sich um ein „pauschales Schätzverfahren“ und eine nur „bundesweite“ Datenbasis handelt. Dies bedeutet für die Praxis, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. 

Die Behördenpraxis begegnete der Kritik an der Richtsatzsammlung bisher oft durch pauschale Abschläge. Trotz zahlreicher Rechtsbehelfsverfahren in Schätzungsfällen und jahrelanger Kritik in der Fachliteratur fand der BFH lange Zeit kein geeignetes Verfahren, zeitnäher und umfangreicher zur BMF-Richtsatzsammlung Stellung zu nehmen. Nunmehr hat sich der BFH in seinem Urteil vom 18.06.2025 sehr kritisch mit der BMF-Richtsatzsammlung auseinandergesetzt. Hierbei stellte er die Eignung dieser Datensammlung für eine Schätzung im Wege des äußeren Betriebsvergleichs deutlich in Frage. Zwar dürfe die Finanzverwaltung Datensammlungen anlegen, wenn diese bestimmte Kriterien erfüllen. Hierzu zählen u.a. statistisch-mathematische Anforderungen, die bei der BMF-Richtsatzsammlung mangels echter Zufallsauswahl der zugrundeliegenden Betriebe nicht gegeben sei. Der BFH hält es für möglich, in Einzelfällen erheblich unzureichender Aufzeichnungen auf die Richtsatzsammlung zurückzugreifen, wenn sonst keine andere Schätzungsmethode verbleibt. In allen Fällen, in denen Schätzungen wesentlich (auch) auf die BMF-Richtsatzsammlung gestützt werden, sollte durch den Berater ein Einspruch und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung geprüft werden. 

Aufgrund der anhaltenden Kritik an der Richtsatzsammlung durch Angehörige steuerberatender Berufe und nicht zuletzt aufgrund der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der sog. Corona-Maßnahmen sah es das Bundesfinanzministerium (BMF) als sinnvoll an, die Richtsatzsammlung durch ein Schreiben zu kommentieren (Begleitschreiben zur Anwendung der Richtsatzsammlung in Krisensituationen (BMF-Schreiben vom 28.11.2022). Das BMF weist insbesondere darauf hin:

„Unabdingbar ist daher, bei der Anwendung der Richtsätze stets auf die individuellen Verhältnisse der einzelnen zu prüfenden Betriebe einzugehen und diese zu berücksichtigen. […] In wirtschaftlichen Krisenzeiten (zum Beispiel aufgrund einer Pandemie oder eines Krieges), welche sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von vielen oder einzelnen Betrieben haben können, ist es unabdingbar, diesen Grundsatz der individuellen Betrachtung der Steuerpflichtigen in besonderem Maße zu beachten. […] Somit ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob und in welchem Umfang bei der Anwendung der Richtsätze Anpassungen vorzunehmen sind. […] Vor diesem Hintergrund gilt es aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung (zum Beispiel Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine), wie bisher auf einen sensiblen Umgang mit der Richtsatzsammlung gegenüber den Steuerpflichtigen zu achten.“ (BMF, a.a.O.).

Wie wird das Bundesfinanzministerium nun auf die neue Rechtsprechung reagieren?

Begrüßenswert ist, dass das BMF auf die gebotene Einzelfallbetrachtung und die notwendige Sensibilität im Umgang mit der Richtsatzsammlung hinweist. Dies gilt selbstverständlich auch für alle früheren Prüfungsjahre. Das oben genannte BMF-Schreiben v. 28.11.2022 wird nun an die neue BFH-Rechtsprechung angepasst werden müssen. Das BMF wird sich mit der fundierten Kritik des BFH auseinandersetzen müssen und durch eine Überarbeitung der Datensammlung reagieren und/oder deren Anwendbarkeit vorläufig aussetzen müssen. Eine Verwaltungsanweisung für eine Übergangszeit wäre wünschenswert. Offen bleibt die Bedeutung der BMF-Richtsatzsammlung für eine bloße Verprobung eines anderweitig – z.B. durch eine Nachkalkulation - gefundenen Ergebnisses. Das BFH-Urteil v. 18.06.2025 kann von Beratern in Besprechungen mit der Betriebsprüfung zur Diskussion über Schätzungen genutzt werden, wenn diese wesentlich (auch) auf die Richtsatzsammlung gestützt werden. Kommt es zu keiner Einigung, kann Antrag auf Aussetzung der Vollziehung geprüft werden, da das BFH-Urteil die Zweifel an der Richtsatzsammlung hinreichend dokumentiert.

Die Steueranwälte prüfen Schätzbescheide im Einzelfall und es sollte dann besprochen werden, ob das Einspruchsverfahren genutzt wird. Oft besser ist es, bereits während der Betriebsprüfung oder in der Schlussbesprechung die Chance für eine Klärung oder streitabkürzende Einigung zu nutzen.

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