Was bedeutet anteilige Tilgung?
Wenn die Zahlungsmittel der GmbH nicht mehr genügen, um sämtliche Verpflichtungen der GmbH zu erfüllen, muss der Geschäftsführer alle Gläubiger der GmbH im gleichen Umfang befriedigen (Grundsatz der anteiligen Tilgung). Sollte der Geschäftsführer andere Gläubiger gegenüber dem Finanzamt bevorzugen, geht er ein Haftungsrisiko ein: Er haftet für die sich daraus ergebende Benachteiligung des Finanzamts. Ggf. droht ihm auch der Vorwurf einer strafbaren Gläubigerbegünstigung.
Rückständige Umsatzsteuer: Der Geschäftsführer muss rückständige Umsatzsteuer in dem gleichen Verhältnis tilgen wie die GmbH-Verbindlichkeiten gegenüber sonstigen Gläubigern. Wenn keine hinreichenden Mittel zur Verfügung stehen, haftet er für den pflichtwidrig verursachten Steuerschaden nur in dem Umfang, in dem er das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt hat. Für einen extremen Sonderfall, der diesen Grundsatz der anteiligen Tilgung besonders deutlich macht, hat das FG Berlin-Brandenburg in seiner aktuellen Rechtsprechung erhebliche Zweifel an der Haftungsinanspruchnahme gesehen: Erzielt die GmbH während der Amtszeit des Geschäftsführers keine Betriebseinnahmen mehr und weisen die BWA hohe Verluste aus, kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass sie fällige Abgabenverbindlichkeiten aus früheren Zeiträumen zeitnah hätte entrichten können (FG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 20.6.2025, 9 V 9084/24, Rz. 48, Juris).
Dieser Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt für den Geschäftsführer jedoch nicht, wenn er die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung oder Steueranmeldung verletzt hat und Vollstreckungsmöglichkeiten bei der GmbH bestanden.
Beispiel: Z. B. erklärt der Geschäftsführer im Eröffnungsbogen gegenüber dem Finanzamt bewusst zu niedrig prognostizierte Umsätze. Hierdurch setzt das Finanzamt zu niedrige Vorauszahlungen fest, obwohl sie höher hätten ausfallen müssen und die GmbH sie im damaligen Zeitpunkt hätte bezahlen können. Wenn der Geschäftsführer die zu niedrige Prognose in der Folgezeit nicht richtigstellt, haftet er für den daraus entstandenen Steuerschaden.
Beispiel: Bei der Lohnsteuer als Abzugsteuer handelt es sich um fremde Gelder, sodass der Geschäftsführer diese Beträge in voller Höhe abführen und sonst ggf. dafür haften muss. Wenn die Liquidität der GmbH hierzu nicht genügen würde, verlangt die Rechtsprechung, dass der Geschäftsführer die Lohnansprüche soweit kürzen muss, wie eine Abführung der Lohnsteuer gesichert ist. Bei wirtschaftlicher Betätigung der GmbH nach Insolvenzreife – zumindest nach Ablauf der Antragsfrist von 3 Wochen – darf sich der Geschäftsführer ebenfalls nicht auf die anteilige Tilgung berufen. Er haftet dann i. d. R. für die gesamten Steuerbeträge (BFH, Urteil v. 27.2.2007, VII R 67/05).
Weiterhin kann der Geschäftsführer sich nicht auf den Grundsatz berufen, wenn er für die GmbH zu Unrecht Steuervergütungen auszahlen ließ, z. B. bei einem Antrag auf überhöhte Vorsteuererstattung. Prinzipiell gilt dies zudem bei jeglicher Steuerhinterziehung, die der Geschäftsführer zugunsten der GmbH beging.
Zur Prüfung der anteiligen Tilgung übersendet das Finanzamt dem Geschäftsführer mit der Haftungsankündigung einen Vordruck zur Mittelverwendung. Dieser soll eine grobe Feststellung der Haftungsquote ermöglichen, d. h. der Quote, mit welcher das Finanzamt als Gläubiger (unter mehreren) befriedigt werden muss bzw. musste. Das Finanzamt geht davon aus, dass eine entsprechende Mitwirkungspflicht des betroffenen (ehemaligen) Geschäftsführers besteht. Dies wird von einer Literaturansicht kritisch gesehen (Heuel/Luxem, Das neue GmbH-Recht, Bergisch Gladbach, 2008, S. 142). Der Geschäftsführer sollte jedenfalls sorgfältig abwägen, ob das Ausfüllen sinnvoll ist oder ob er kooperiert (soweit es ihm möglich ist). Durch das Ausfüllen verschafft der Geschäftsführer dem Finanzamt die Sachverhaltsangaben und nimmt sich im Ergebnis die Verteidigungsmöglichkeiten im etwaigen Steuerstrafverfahren.
Schätzungsbefugnis: Wenn der Geschäftsführer diesen Vordruck zur Mittelverwendung allerdings nicht ausfüllt, kann das Finanzamt die Tilgungsquote schätzen. Das Finanzamt trägt die Feststellungslast für eine Benachteiligung des Fiskus. Das FG München geht von einer Obliegenheit des Geschäftsführers zur Mitwirkung aus, deren Verletzung im Rahmen der Schätzung zu berücksichtigen sei (FG München v. 22.5.2012, 2 K 3459/09). Eine Obliegenheit ist von einer durchsetzbaren Rechtspflicht zu unterscheiden. Eine Schätzung von 100 % zugunsten des Finanzamts ist jedoch oftmals zu hoch, weil das Finanzamt nicht berücksichtigt, dass im Haftungszeitraum Steuern gezahlt wurden.
Vorsicht bei fehlender Mitwirkung: Wenn der Geschäftsführer keine nachvollziehbaren Angaben über die Gesamtsumme aller bezahlten Schulden vorlegt, kann das Finanzamt nach Ansicht des FG München im Schätzwege von einer anteiligen Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum von 80 % ausgehen (FG München v. 22.5.2012, 2 K 3459/09).
Hinweis der Steueranwälte von LHP: Besonders misslich ist die Lage mancher (ehemaliger) Geschäftsführer, die keinen Zugriff mehr auf die Daten der GmbH haben. Dies kann z.B. auch dann der Fall sein, wenn der GmbH-Steuerberater die Unterlagen nicht herausgibt, weil er ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht. Dann muss geprüft werden, ob dieses Zurückbehaltungsrecht berechtigt ist oder nicht.
Einspruchsmöglichkeit bei GmbH nutzen: Bei Zweifeln über die Höhe der zu entrichtenden Steuern sollten Geschäftsführer den gegen die GmbH gerichteten Steuerbescheid anfechten. Die Steuerbescheide der GmbH sollten also zwecks Prüfung rein vorsorglich mittels Einspruchs fristwahrend angefochten werden. Ansonsten wird der Geschäftsführer gem. § 166 AO mit Einwendungen gegen die GmbH-Steuerbescheide in einem späteren gegen sie gerichteten Haftungsverfahren nicht mehr gehört (also ausgeschlossen). Bei Insolvenzverfahren sollte auch ein insolvenzrechtlicher Widerspruch gem. § 176 InsO geprüft werden. Der in Haftung genommene alleinige (ehemalige) Geschäftsführer einer GmbH ist nach Ansicht des FG Mecklenburg-Vorpommern im Haftungsverfahren mit Einwendungen gegen die formell bestandskräftig festgesetzten Lohnsteuern ausgeschlossen, wenn er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den im Prüfungstermin angemeldeten (Lohnsteuer-)Forderungen des Finanzamtes nicht widersprochen hat. Beim BFH war ein Revisionsverfahren zu der Frage anhängig, ob im Insolvenzverfahren über das Vermögen einer GmbH Einwendungen des Geschäftsführers ausgeschlossen sind gem. § 166 AO wenn der Forderungsanmeldung nicht widersprochen wird (BFH VII R 29/17, inzwischen gem. § 126a FGO erledigt). Zuvor hatte der BFH die Pflicht zum Widerspruch betont (Urteil v. 16.5.2017, VII R 25/16).
Die Steueranwälte von LHP raten, im Einzelfall sowohl Einsprüche gegen die GmbH-Steuerbescheide als auch gegen den persönlichen Haftungsbescheid zu prüfen. Es kann je nach Einzelfall eine Reihe von Einwendungen gegen die Haftung überhaupt also auch gegen die Höhe der Haftung geben. Zur Vermeidung einer Vollstreckung muss ein begründeter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt werden, der einen Einspruch voraussetzt.
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