Die Betriebsprüfung kann bei ungenügender Mitwirkung während der Betriebsprüfung ein sog. Verzögerungsgeld festsetzen. Hierbei handelt es sich um eine Geldzahlung von mindestens EUR 2.500, die durch Verwaltungsakt bestimmt werden kann. Wichtig ist, dass es hierfür keinen Automatismus gibt, d.h. das geprüfte Unternehmen muss hierzu einen berechtigten Anlass gegeben haben und das Finanzamt muss dann sein Ermessen fehlerfrei ausüben.
Entschließungs- und Auswahlermessen
Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes, ob es ein Verzögerungsgeld festsetzt (sog. Entschließungsermessen) und in welcher Höhe die Festsetzung erfolgt (sog. Auswahlermessen). Es besteht somit kein Automatismus in der Weise, dass jeder Verstoß gegen § 146 Abs. 2b AO zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes führt. Der BFH hat insofern anerkannt, dass ein Pflichtenverstoß das Ermessen nicht vorprägt (BFH, Urteil vom 28.08. 2012, I R 10/12).
Die Verwaltung sieht dies teilweise anders und geht davon aus, dass die Verletzung der Mitwirkungspflicht grundsätzlich die Sanktion des Verzögerungsgeldes begründe. Die Rechtsprechung hat dieser Ansicht nochmals deutlich widersprochen. Bei der Ermessensausübung zur Festsetzung eines Verzögerungsgeldes nach § 146 Abs. 2c AO kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besondere Bedeutung zu. Die Ermessenserwägungen zur Festsetzung des Verzögerungsgeldes sind daher insbesondere an der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der Pflichtverletzung sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten.
Hohe Mindestsumme von EUR 2.500
Da der gesetzliche Rahmen bereits eine (recht hohe) Mindesthöhe von 2.500 € vorsieht, dürfte nach zutreffender Ansicht in Bagatellfällen ein Verzögerungsgeld überhaupt nicht in Betracht kommen. Entsprechend betonte auch das FG Saarland, dass die gesetzlich vorgegebene Sanktionsuntergrenze von EUR 2.500 keinen Bagatellbetrag darstellt, so dass das Entschließungsermessen („Ob”) sorgfältig unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der Pflichtverletzungen sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung vorzunehmen ist (FG Saarland, Urteil vom 28.01.2015, 1 K 1102/13). Da es sich bei der Festsetzung des Verzögerungsgelds in Höhe von mindestens EUR 2.500 nach Ansicht des FG Hessen nicht um einen Bagatellbetrag handelt, bedarf es nach Ansicht dieses Gerichts einer sorgfältigen Abwägung, ob gegenüber dem Steuerpflichtigen überhaupt ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden darf (FG Hessen, Urteil vom 12.07.2016, 9 K 512/14). Geht die Finanzbehörde von einer verschuldensunabhängigen Vorprägung des Ermessens in dem Sinne aus, dass die Verletzung der Mitwirkungspflichten grundsätzlich die Sanktionierung durch ein Verzögerungsgeld in Höhe des Mindestbetrages von EUR 2.500 rechtfertigt, so liegt nach Ansicht dieses Gerichts ein Ermessensfehler vor (FG Hessen, Urteil vom 12.7.2016, 9 K 512/14).
In diese Richtung geht auch die aktuelle Rechtsprechung des FG Saarland: Das Gericht führt aus, dass bei der Ermessensausübung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine besondere Bedeutung zukommt. Die Ermessenserwägungen zur Festsetzung des Verzögerungsgelds sind nach Ansicht des Gerichts insbesondere an der Dauer der Fristüberschreitung, den Gründen und dem Ausmaß der Pflichtverletzung/en sowie der Beeinträchtigung der Außenprüfung auszurichten.
Beispiel: Nach vorgenannter Entscheidung des FG Saarland ist die Dauer zwischen erstmaliger Prüferanfrage und deren Beantwortung bzw. der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes jedenfalls dann kein geeignetes Ermessenskriterium, wenn nicht erkennbar ist, welche Frist das FA zur Beantwortung der Anfrage für angemessen hält und wie die besonderen Umstände des Einzelfalles bei der Fristberechnung bzw. Dauer der
Fristüberschreitung in die Abwägung eingeflossen sind.
Alternative: Zwangsgeld
In kleineren Fällen dürfte statt eines Verzögerungsgeldes m. E. vielmehr ein Zwangsgeld i. S. der §§ 328, 329 AO in Betracht zu ziehen sein, da dieses im Rahmen von EUR 1 bis EUR 25.000 festgesetzt werden kann (§ 329 AO). Das Verzögerungsgeld ist in diesen Fällen u. U. das falsche Instrument. Es besteht bisher aber keine Klarheit in der Rechtsprechung, wie das Zwangsgeld gem. § 328 AO und das Verzögerungsgeld abzugrenzen sind.
Der BFH hat es in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als ernstlich zweifelhaft angesehen, ob im Hinblick auf fortdauernde Nichtvorlage derselben Unterlagen ein Verzögerungsgeld auch mehrfach festgesetzt werden darf (BFH, Urteil vom 16.06.2011, IV B 120/10). Jedenfalls ist es nicht zulässig, wegen mehrerer Pflichtenverstöße den Mindestbetrag von 2.500 € mehrfach ohne konkrete Begründung festzusetzen. Ungeklärt ist bisher, unter welchen Voraussetzungen das Finanzamt bei Verstößen gegen mehrere Mitwirkungsverlangen betreffend mehrere Prüfungsfelder ein oder mehrere Verzögerungsgelder festsetzen darf (vgl. Hilbertz, NWB 2013, 336, 337). Es muss berücksichtigt werden, dass sich der Steuerpflichtige gegen die Vorlage von Unterlagen mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gewandt hat und dieser Antrag im Zeitpunkt des Fristablaufs noch nicht beschieden war (BFH, Urteil vom 24.04.2014, IV R 25/11).
Wenn sich ein Steuerpflichtiger erkennbar klar und endgültig weigert, die steuerliche Mitwirkungshandlung vorzunehmen, so ist bisher ungeklärt, ob dann das Verzögerungsgeld überhaupt ein geeignetes und damit verhältnismäßiges Mittel ist. sein. Denn in Betracht käme dann, nach den Grundsätzen der Beweislastverteilung zu entscheiden (z. B. Ausschluss des Betriebsausgabenabzugs gem. § 160 AO). Zu einer weiteren Verzögerung der Prüfung kommt es dann nicht. Das Verzögerungsgeld darf nicht faktisch wie eine Strafe eingesetzt werden, da eine Strafe nur durch den Strafrichter ausgesprochen werden darf. Auch ist fraglich, ob ein Verzögerungsgeld mehrfach wegen der Verletzung des identischen Auskunftsverlangens festgesetzt werden darf. Denn auch dann stellt sich die Frage, warum der Betriebsprüfer nicht nach der ersten Pflichtverletzung gemäß Beweislastgrundsätzen zu Lasten des Steuerpflichtigen entscheidet und damit die Betriebsprüfung nicht weiter verzögert wird. Auch hierzu bleibt die Rechtsprechung abzuwarten.
Hinreichende Begründung notwendig
Das Finanzamt muss seine Entscheidung hinreichend begründen. Bei einer Anfechtung der Festsetzung des Verzögerungsgeldes kann das Finanzamt diese Begründung bis zur Einspruchsentscheidung nachholen (§ 126 Abs. 1 Nr. 2 AO). Der Verfahrensmangel wird dadurch geheilt. Im finanzgerichtlichen Verfahren darf das Finanzamt hingegen seine Begründung nur noch präzisieren, nicht jedoch nachholen oder auswechseln.
Der Festsetzung eines Verzögerungsgelds steht nicht entgegen, dass der Antragsteller die Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen mittels Rechtsbehelfen angefochten hat. Maßgeblich ist allein, dass diese Aufforderung vollziehbar ist (FG Hessen, Urteil vom 12.07.2016, 9 K 512/14). Wenn der Steuerpflichtige die Aussetzung der Vollziehung (§ 361 AO, § 69 FGO) dieser Aufforderung erreicht, darf insoweit auch kein Verzögerungsgeld festgesetzt werden.
Nach Ansicht des FG Hessen soll es im Rahmen des Entschließungsermessens nicht zu beanstanden sein, wenn das Finanzamt alternativ zur Festsetzung eines Verzögerungsgelds die Versagung eines Betriebsausgabenabzugs oder die Vornahme einer Schätzung in Betracht zieht und diese Maßnahmen jedoch ermessensfehlerfrei mit der Begründung ausschließt, dass der der Prüfung zugrunde liegende Sachverhalt erst mit Hilfe der bei dem Steuerpflichtigen angeforderten Unterlagen und Auskünfte ermittelt werden muss (FG Hessen, Urteil vom 12.07.2016, 9 K 512/14).
Die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes ist nach einem Urteil des FG Münster ermessensfehlerhaft, wenn sie mit einer potentiellen Wiederholungsgefahr begründet wird. Die angenommene potentielle Wiederholungsgefahr ist eine sachfremde Erwägung, die mit dem Zweck des Verzögerungsgeldes nicht vereinbar ist. Berücksichtigt werden dürfen insoweit allein Verzögerungen beim Steuerpflichtigen, nicht aber generalpräventive Aspekte. Im zugrundeliegenden Fall des FG Münster ging es um die Festsetzung des Verzögerungsgeldes gegenüber einem Rechtsanwalt wegen Nichteinräumung eines Datenzugriffs bzgl. der von ihm betreuten steuerlichen Mandate.
Weiterhin ist die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes auch ermessensfehlerhaft, wenn das FA über den Aussetzungsantrag zur Datenüberlassung noch nicht entschieden hat, ohne Ermessenserwägungen anzustellen, warum auf die Datenanforderung vor dieser Entscheidung eine weitere belastende Maßnahme wie das Verzögerungsgeld gestützt werden kann.
Auswahlermessen
Wenn das Finanzamt sein Entschließungsermessen hinreichend ausgeübt hat, so muss es eine weitere Hürde überwinden. Denn auch der Höhe nach muss nach Verzögerungsgeld nach pflichtgemäßem Ermessen festgesetzt werden (sog. Auswahlermessen). Das Auswahlermessen ist angesichts der weiten Bandbreite von 2.500 € bis 250.000 € unter Beachtung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit auszuüben. Der Betriebsprüfer hat auch insofern keine „freie Hand”. Er darf hierbei nicht auf generalpräventive Aspekte abstellen. Dies bedeutet, dass das Verzögerungsgeld z. B. nicht damit begründet werden darf, dass ein Steuerpflichtiger im Veranlagungsverfahren öfters seine steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht erfüllte und insofern Wiederholungsgefahr bestehe.
Die Rechtsprechung geht davon, dass die Festsetzung des Mindestbetrages von EUR 2.500 nicht besonders begründet werden müsse, wenn bereits das Entschließungsermessen hinreichend begründet worden sei (BFH, Urteil vom 28.08.2012, I R 10/12). Eine bloße Vervielfältigung des Mindestsatzes von 2.500 € für jeden Pflichtenverstoß ohne eine Bewertung seines Gewichts im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Höhe des (insgesamt) festgesetzten Verzögerungsgelds trägt jedoch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht hinreichend Rechnung (FG Hamburg, Urteil vom 16. 11. 2011 - 2 V 173/11). Für die Höhe des Verzögerungsgeldes sind alle Umstände zu beachten, so z. B. auch die Umstände der zu beurteilenden Pflichtverletzungen und das Ausmaß der Beeinträchtigung der Prüfungstätigkeit (vgl. Hilbertz, NWB 2013, 336, 337; FG Hessen Urteil vom 12.07.2016, 9 K 512/14). Werden die verlangten Unterlagen bzw. Informationen noch vor dem Zeitpunkt zumindest teilweise eingereicht, in dem das Finanzamt über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes entscheidet, so muss auch dieser Umstand berücksichtigt werden (BFH, Urteil vom 26.06.2014, IV R 17/14). Es ist unzulässig, für die Höhe des Verzögerungsgeldes ein früheres Verhalten des Steuerpflichtigen (z. B. in einer vorangegangenen Außenprüfung) zu seinen Lasten zu berücksichtigen (BFH, Urteil vom 24.04.2014, IV R 25/11).
Auch für das Auswahlermessen gilt das Gebot der Begründung (vgl. oben).
Hinweis der Steueranwälte von LHP: Künftig sollte die Neuregelung des § 200a AO n.F. gesehen werden, die in einem künftigen Beitrag näher dargestellt wird. Mit dieser Regelung wurde ein sog. qualifiziertes Mitwirkungsverlangen im Rahmen von Außenprüfungen eingeführt. Die Regelung gilt nur für Steuerpflichtige, die ihren Mitwirkungspflichten nach § 200 AO nicht oder nicht hinreichend nachkommen. Durch das qualifizierte Mitwirkungsverlangen wird festgelegt, dass im Falle der Nichterfüllung eines Mitwirkungsverlangens die Fünfjahresfrist der Ablaufhemmung verlängert oder gar außer Kraft gesetzt wird (§ 200a Abs. 4 AO) und ein Mitwirkungsverzögerungsgeld bzw. ein Zuschlag zum Mitwirkungsverzögerungsgeld festgesetzt wird. § 200a AO ist grundsätzlich erstmals auf Steuern und Steuervergütungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2024 entstehen. § 200a Abs. 1 bis 3 und Abs. 6 in der ab dem 1.1.2023 geltenden Fassung ist auch für Steuern und Steuervergütungen anzuwenden, die vor dem 1. Januar 2025 entstehen, wenn für diese Steuern und Steuervergütungen nach dem 31.12.2024 eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben wurde.
Die Steueranwälte von LHP prüfen im Einzelfall, ob ein Einspruch gegen die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes sinnvoll ist. Wenn es zu einem Verzögerungsgeld kommt, so ist oft bereits das Klima während einer Betriebsprüfung angespannt, so dass überlegt werden kann, ob und wie die Gesprächsmöglichkeiten konstruktiv verbessert werden können.
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