Beispiel: Besonders in Schätzungsfällen hat es sich bewährt, die Einigung zu suchen. Ein Einspruchs- und notfalls Klageverfahren ist später immer noch möglich wenn es nicht zu einer Einigung kommt.
In den Fällen, in denen eine Ungewissheit über einen verwirklichten Sachverhalt besteht, der nur erschwert aufzuklären ist, besteht die Möglichkeit einer tatsächlichen Verständigung. Hierbei handelt es sich um eine verbindliche Vereinbarung zwischen dem Unternehmen und dem Finanzamt. Das Finanzamt muss dann diesen vereinbarten Sachverhalt in den Steuerbescheiden umsetzen.
Es ist nicht mehr aufzuklären, in welchem prozentualen Verhältnis im Jahr X die Aufteilung einer betrieblichen und privaten Nutzung eines Wirtschaftsguts bestand. Es ist denkbar, dass die betriebliche Nutzung zu 80 % geschah, so dass dieser Prozentsatz als Sachverhalt zwischen Unternehmen und Finanzamt vereinbart wird.
Anwendungsmöglichkeiten für eine tatsächliche Verständigung
Weitere Anwendungsmöglichkeiten sind:
Bereich der Schätzung, der Bewertung und der sachlichen Wertung eines Sachverhalts einschließlich der Beweiswürdigung, also z. B. Zuschätzung von Kalkulationsdifferenzen. |
Angemessenheit der Geschäftsführer-Gesamtausstattung. |
Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht. |
Nichtabziehbarkeit von Betriebsausgaben gem. § 160 AO. |
Abgrenzung zwischen Herstellungs- und Erhaltungsaufwand. |
Bewertungen wie Teilwert, Verkehrswert oder gemeiner Wert. |
Verständigung über Sachverhalt: Die tatsächliche Verständigung bietet dem Unternehmen die Möglichkeit, einen Sachverhalt darzulegen, der zu dem gewünschten Ziel führt. Dieser Sachverhalt muss plausibel und glaubhaft sein, so dass das Finanzamt sich auf diesen Sachverhalt einlässt und ihn mit dem Unternehmen vereinbart. Das Finanzamt darf diesen Sachverhalt jedoch nur vereinbaren, wenn es keine zumutbaren Möglichkeiten gibt, den (wahren) Sachverhalt zu ermitteln. So können z. B. lange zurückliegende Sachverhalte oftmals nicht mehr durch das Finanzamt aufgeklärt werden. Oder bestimmte Ermittlungsmaßnahmen können aussichtslos sein oder dem Finanzamt als zu aufwendig erscheinen (z. B. im Ausland). Die Unzumutbarkeit bzw. Erschwernis weiterer Ermittlungsmaßnahmen bedeuten daher einerseits die tatsächliche Unmöglichkeit der Sachverhaltsermittlung, aber auch die Unwirtschaftlichkeit, die Unverhältnismäßigkeit oder die rechtliche Unmöglichkeit der Ermittlung (z. B. wenn die Privatsphäre Dritter betroffen wäre).
Verständigung über Rechtsfragen: Eine Verständigung über Rechtsfragen ist demgegenüber unzulässig . Finanzamt und Unternehmen dürfen also nur vereinbaren, dass sie einen bestimmten Sachverhalt als gegeben ansehen. Unzulässig ist es hingegen, die Anwendung einer bestimmten Rechtsnorm oder eine bestimmte Rechtsfolge zu vereinbaren. Wichtig ist daher die Klärung, ob es sich wirklich um eine Sachverhaltsfrage und nicht um eine rechtliche Beurteilung handelt. Nicht jede Bewertungsfrage ist eine Rechtsfrage. Oftmals besteht ein gewisser Konkretisierungs- oder Beurteilungsspielraum des Prüfers. Dies hängt jedoch vom Einzelfall ab und ist durch den Berater zu klären. Wenn Rechtsfragen streitig sind, so sind die beiderseitigen Rechtsstandpunkte oft festgefahren und der Betriebsprüfer ist bei Vorliegen einer Verwaltungsanweisungen auch an diese vorgegebene Rechtsansicht gebunden. In diesen Fällen kann es hilfreich sein, den Fokus von der rechtlichen Beurteilung auf die Sachverhaltsebene zu schwenken und dort eine Einigung zu suchen.
Hinweis der Steueranwälte von LHP:
Sollte ein Verdacht einer Steuerstraf- oder Steuerordnungswidrigkeit bestehen, behalten unsere Steueranwälte sowohl das Besteuerungsverfahren als auch das Strafverfahren im Auge. Eine tatsächliche Verständigung allein im Besteuerungsverfahren würde dann zu kurz greifen. Vielmehr ist eine „ doppelte“ Verständigung im Steuer- und Steuerstrafrecht zu prüfen.
Voraussetzungen Zusammengefasst kommt eine tatsächliche Verständigung unter folgenden Voraussetzungen in Betracht:
Bindung an die tatsächliche Verständigung
Stimmen beide Seiten zu, sind sie grundsätzlich verbindlich an den vereinbarten Sachverhalt gebunden und müssen diesen zugrunde legen. Hierbei ist auch wichtig zu beachten, auf welche Zeiträume (Veranlagungsjahre) es dem Unternehmen ankommt: In der Vereinbarung sollte festgelegt werden, für welche Jahre das Finanzamt einen bestimmten Sachverhalt zugrunde legen soll. Die tatsächliche Verständigung gilt nur für die Zeiträume der Vergangenheit, auf die sich die Verständigung ausdrücklich bezieht. Oftmals ist derselbe oder ein ähnlicher Sachverhalt jedoch auch in Folgejahren bzw. in der Zukunft steuerlich zu würdigen. Hier ist bei Dauersachverhalten (z. B. Vermietung über mehrere Jahre) Vorsicht geboten : Für das Finanzamt gilt das Jahres- bzw. Abschnittsprinzip, d. h. für jedes Veranlagungsjahr kann das Finanzamt den Sachverhalt neu ermitteln, und derselbe Sachverhalt kann gegenüber früheren Jahren unterschiedlich steuerlich gewürdigt werden. Das Finanzamt ist somit z. B. für das Jahr X nicht an eine Sachverhaltsermittlung und Beurteilung gebunden, die es im Rahmen einer Einigung für das Jahr Y mit dem Unternehmen gefunden hat. Diese Gefahr besteht z. B. bei Sachbearbeiterwechseln im Finanzamt.
Hinweis von LHP aus Köln:
Daher sollte das Unternehmen vor Abschluss der Betriebsprüfung einen Antrag auf eine verbindliche Zusage gem. § 204 AO betreffend künftige Jahre stellen. Nach der gesetzlichen Neuregelung sind auch Zusagen für einzelne Sachverhalt vor Abschluss der Betriebsprüfung möglich (wenn ein sog. Teilabschlussbescheid ergeht).
Nur in Ausnahmefällen sind die Beteiligten nicht an die zulässigerweise vereinbarte tatsächliche Verständigung gebunden. So kann sich ein Beteiligter grundsätzlich nicht durch Widerruf von der bindenden Vereinbarung lösen. Es ist umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Anfechtung z. B. wegen Irrtums oder Drohung in Betracht kommen kann. Diese Fälle dürften selten sein.
Hinweis:
Es kann sich im Einzelfall die Frage stellen, ob der Unternehmer an eine im Steuerstrafverfahren gefundene Einigung auch im Besteuerungsverfahren gebunden ist. Jedenfalls sollte die Doppelgleisigkeit des steuerlichen und steuerstrafrechtlichen Verfahrens stets im Blick behalten werden.
Formerfordernisse
Damit die Verbindlichkeit der tatsächlichen Verständigung nicht mehr in Zweifel gezogen werden kann, muss sie schriftlich verfasst und von beiden Seiten unterschrieben werden. Aufseiten des Finanzamts muss ein für die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger zustimmen (der hierfür zuständige Sachgebietsleiter oder Amtsleiter; bei Rechtsbehelfsverfahren der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle). Die Schriftform ist dringend empfehlenswert. Allerdings könnte der BFH möglicherweise so zu verstehen sein, dass die Schriftform nicht rechtlich zwingend sei. Insofern besteht aber keine Rechtssicherheit. Zudem können ohne Schriftform Beweisschwierigkeiten und Diskussionen über den genauen Inhalt der Vereinbarung auftreten.
Einigen sich der Sachgebietsleiter der Veranlagungsstelle und der Steuerberater während der Schlussbesprechung mündlich über einen Sachverhalt, kann dies u. U. im Einzelfall bereits eine wirksame tatsächliche Verständigung sein. Die Teilnahme eines für die Steuerfestsetzung zuständigen Sachgebietsleiters soll notwendig sein. In der Praxis wird daraus teilweise abgeleitet, dass die persönliche Anwesenheit notwendig ist und Unterschriften der zuständigen Amtsträger im Umlaufverfahren nicht genügen würden. Im Einzelnen sind die Formerfordernisse nicht rechtssicher durch die Rechtsprechung geklärt. So empfiehlt es sich, den jeweils sichersten Weg zu gehen und auf die Schriftform und die Teilnahme der zuständigen Amtsträger nicht zu verzichten.
Im Einzelfall beraten unsere Steueranwälte mit unseren Mandanten die Möglichkeiten einer tatsächlichen Verständigung und - bei Bedarf - auch die Möglichkeit einer Einigung in einem parallel bestehenden Steuerstrafverfahren. Zunächst sollten die Möglichkeiten im Konsens ausgelotet werden. Das Motto ist: "Streiten kann man notfalls immer noch, sollte aber vermieden werden".
An der Pauluskirche 3-5,
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